Lesetext



Rodica Draghincescu
Craun – Streuner


Die Wirklichkeit ist ein Raubtier, die Unwirklichkeit unterwirft sich unter Anstrengungen. Ich wurde mich fragen, was ich schreibe... wenn ich nicht ins Leere blickte. Ich brüte den Bauch meines eigenen Schattens aus. Streichle meinen wirklichen Bauch. Tausche Eindrücke mit den Händen, erhebe die Architektur meines Beckens in den Rang eines Schlosses. Ich halte es für der Mühe wert, einfach, unverstellt zu schreiben, etwas, was meine schlechten Angewohnheiten verändert. Und ich haste ans Fenster. Seit ich zurückdenken kann, haben mir die alten Schachteln gefallen. Ich pflegte mich abends auf die Bank vor dem Haus zu setzen, neben die alten Weiber, legte ihnen Zucken mit Minze und Schokolade Marke »Ciucas« in den Schoß, dass sie loslegen über Hölle und Himmel, über Schuld und Sühne. Der Effekt war gesichert. Ich würde mich fragen, was ich sehe, wenn ich nicht mit dem Gesicht an den Blättern Papier klebte beim Schreiben. Ein paar Tauben wälzen sich im Staub und vergehen vor Wärme; die Menschen schweben und haben keine Ahnung. Der Asphalt ist tief, dieser Busenfreund des teuflischen Pechs. Vor dem in Privathände Obergegangenen Laden »Non stop, Hani!«, beäugen der Patron und sein mittlerer Sohn die eine oder andere Aufseherin (über die Regale), für die »Nachtschicht«. Es herrscht eine apokalyptische Hitze. Die Jüngeren laufen beinah nacktärschig umher, die Älteren keuchen, hoffen aber das Beste. Nun ja. Die Zusammenstellung oder Straffung von Ereignissen ist die Sache Gottes, des Malers, des Juweliers, des Teufels, Müllmanns usw. Über meinem Schädel hängt ein Kandelaber mit 20 angezündeten Glühbirnchen. Unvorhersehbar, was ich tun werde. Es ist keiner da, aber auch keine Stille. F-sch, rau-sch, summ, plumps, wumm, bull! In einem weißgetünchten Appartement: erzeugen die kleinen Geräusche Schauer, lassen dich die mittleren Geräusche kalt, die kleinen Bilder bringen die großen um, die großen Bilder werden zu großen Geräuschen. Geräusche auf Vorrat. Ich betrachte und berechne die Wände, die Fenster, die Uhr, die Bibliothek, den Fußboden, die Ameisen, die Vasen mit Vertrocknetem, die Türen, die Uhr, das Bett, den Tisch, die Wände, die Sessel, den Seeigel, das Telefon, die Wände, den Fußboden, die Uhr, die Bibliothek, die tote Riesenschnecke. Vor – und ich weiche zurück, ich schreie. He, tschüß! —entferne ich meinen Namen. Herbei, herbei! – rufe ich ihn. Ich setze auf seine Ansprechbarkeit auf organische Beweggründe. Ich pfeife und meine Erinnerungen folgen auf dem Fuß (um mich neu zu aktualisieren praktiziere ich die Technik der »Rückkehr zurück«; ich verfolge kein poetisches Ziel; ich reime unbewusst; das »ursprüngliche« Stadium der Vollkommenheit und Glückseligkeit – jetzt – besteht darin, auf dem Unbewussten zu bestehen, als einer Erscheinung, die biopsychisch beeinflusst wird; die Abwesenheit systematischer Kommunikation mit dem geliebten Wesen hängt mit der Metapsychologie meiner Besonderheit zusammen, mit meinen stupiden Verirrungen und Verkleidungen). Ich pfeife. Und das Echo folgt auf dem Fuß. Klettert in die Ohren. Ein kitzelndes Echo, ein gummilastischer Schrei. Ein Dahastduhatschi! Kleinhatschii! Ich sammele mich, bedecke mich mit allerlei Schleiern von Tante Ritzy. Hatschi! Sollte dieses Niesen der akustische Beweis dafür sein, dass ich schreibe was ich empfinde, was ich tue?! Ich schließe meine Augen, schwanke, öffne die Augen. Bewege mich ein kleinwenig vorwärts. Vergesse nicht zurückzukehren. Ich zügele mein Temperament. Treffe haargenau richtig. Gibt es Namen? Gibt es ein Gedächtnis? Gibt es was es nicht gibt? Woher stammt dies zeitweilige Summen und wohin steuert es? Ins Gedächtnis? Im Gedächtnis sind Schrei und Bild Waffen mit stählerner Schneide. Blinzelnd bewege ich mich voran. Es geht mir gut, denn es gibt kein Vorwärts, wie es auch kein Zurück gibt, kein Seitwärts, kein Rundherum. Wieso? Wie es auch kein Hier, kein Soviel, kein Dort, kein Alles, kein Nichts, kein Niemand gibt. Es gibt nur halb nichts, halb niemand. Was geschieht? Was höre ich? Sehe ich? Fühle ich? Es ist warm. Eine feuchte, unangenehme Wärme, unerklärlichem Verschwinden vergleichbar. Die Wirklichkeit? Die Unwirklichkeit? Ich sitze, sie sitzt mit nach unten geneigtem Kopfüber der Waschschüssel mit den schmutzigen Kleidern. Darüber: leuchtet die Kristallglocke schwerfällig, von Dämpfen umhüllt. Es sind schon fünfzehn Minuten vergangen seit ich mich nicht mehr sehe und sie sich nicht mehr sieht. Ich bin und sie ist tätig im Spieglein im Bad; sie wäscht und ich wasche Bettlaken, Unterhosen, Blusen, Strümpfe, Röcke, Mädchensocken. Ich hocke, sie hockt mit nach unten geneigtem Kopf. Ich scheine, sie scheint hier zu sein, weiterhin dort. Unsere Gesichter haben eine tolle, ermüdende Farbe, raue, warme Lippen, malvenfarbige und lange Zungen (unter ihnen überlagern salzige Speichelflüsschen süßliche Speichelflüsschen). Ich bin, sie ist gegenwärtig – für den Fall dies notwendig sein sollte – im Kopf der Alibisuchenden. Sie sitzt gebückt und ich bücke mich. Ich erhebe mich und sie erhebt sich. Wir stehen, die Hände in T-Form (die Füße in V-Form), zwei Waagschalen zwischen Tatsächlich und Scheinbar (...). Ich scheine nicht zu sein und sie scheint nicht zu sein. Es herrscht eine nasse, angenehme Wärme, vergleichbar unerklärlichem Auftauchen. In der Fortsetzung hier... erscheinen wir in Fragmenten dort. Unsere Körper sind Körper, die auf Wänden tanzen. Wir tragen rosa Büstenhalter, mit feinen Spitzen, haben Fußgröße 37, große Ohrringe, kreisförmig, bis auf die Schultern. Eine von uns atmet erregt. Wir essen wenig, schlafen schlecht, können perfekt Französisch, Russisch und Italienisch, verstehen Englisch, Serbisch und Deutsch gut, haben Hüften Güteklasse Eins, glauben an Den da Oben, sündigen mit denen da unten. Beschleunige ich die Eindrücke? Befinden sie sich in einem ständigen Gegensatz zu der anspruchsvollen Wirklichkeit? Wem zum Trotz lege ich chaotische Bekenntnisse ab? Ich halte meinen, sie hält ihren Kopf etwas auf den Rücken geneigt, die Beine leicht gegrätscht (die Sache mit den Klamotten ist überholt, die Wäsche ist getrocknet, sie wurde schon gebraucht, zerrissen, müsste erneut mit Perlan eingeweicht werden, wieder zur Meterware werden), ganz leicht gegrätscht, leicht erregbar, mit ARSHRA parfümiert. Ich bekenne und sie lügt. Ich lüge und sie gesteht. Wir entstammen einer bizarren Kreuzung einer jüdischen Handelsfrau mit einem katholische n Priester (es war ein Skandal in der Kleinstadt B., um das Ende der 30er). Wir erhitzen uns und kühlen uns ab wie folgt: an den Wänden des Bades, sie; am Telefontischchen, ich. Ich schreibe und sie wäscht meine Hüften mit rotem Schwamm (es ist großartig!), modelliert meinen Körper mit »L’OréaI«, indem sie, was ihr gefällt, zu sich zieht. Sie wäscht. Ich schreibe unförmig, modelliere ihren Körper, indem ich, was mir gefällt, in Richtung Papier ziehe. Ich schreibe auf den Knien (mit angezogenen Hüften), wie die weiblichen Sträflinge wenn die Sehnsucht sie packt nach den Männern draußen. Wir erschaffen uns ein Spiel! Wir plappern in einem fort: Ich: nein? Sie: ja? Ich: wie? Sie: wa’? Ich: nicht mir? Sie: sondern? Ich: du? Sie: nanu? Ich: so und niemals? Sie: weder? Ich: für? Sie: wen? Ich: selbstverständlich? Sie: wer? Ich: gegen? Sie: wen? Ich: selbstverständlich? Sie: wenn? Ich: wann? Sie: ansonsten? Ich: heute? Sie: eine von uns? Ich: immer? Sie: gestern? Ich: etwa? Sie: wie viel? Ich: morgen? Sie: was geht’s dich an?! Sie ist la blachiseuse. Ich schreibe den Spielplan um (sie berührt ihre Knie; sie hört die Gespräche der offenen Wasserhähne wegen nicht). Was geht’s dich an! brüllt sie und wischt sich die Nase an mein olivenfarbenes Trikot. Sie packt mich, hebt mir und hebt sich dabei das Kleid. Du schreibst? Trickse ruhig mit dem Leben anderer, betrüge dich nur mit deinem Leben, aber lass mich aus dem Spiel. Wie oft soll ich dir das erklären, Weib: DU BIST ALLEIN IN DER GESCHICHTE, BIST ICH, BIN DU, ABER: EINE! ALLEIN! Sie versucht, sich von meinem Willen abzukoppeln. Ich beschreibe ihre Rede, ihre Schatten, den Husten, ihre Tränen, die Lauge in der Waschschüssel. Dir gefällt es zu befehlen, mich Waschfrau, Köchin, Hausfrau zu nennen, was! Mich in den Kot zu zerren wie es dir passt, mir deine Scheißgegenwart ins Hirn zu kippen, mich an deiner Stelle durch fremde Häuser, Bahnhöfe, Krankenhäuser, Universitäten, Akademien zu führen, mich in Bedrängnis mit den Blinden, den Armen, den Waisen usw. zu bringen. Deine Rolle als Unglückliche und Gimpel zu spielen. He, hast du einen Ausweis, eine Bescheinigung, ein Zeugnis, irgendwas?! Gib her, sonst: komme ich nicht mehr. Wenn einige bemerken, dass es mich gibt? Wer bin ich, Liebchen? Komm, gib mir ein Dokument, ich hab keine Zeit für dich. Es fährt ein Bus um 5 Uhr. Ich muss aussteigen. Hör auf! Ich packe sie am geflochtenen Zopf, ersticke ihren Atem, betaste verwirrt ihre Schultern. Ihre Brüste erheben sich über meine Brüste. Es ist schon dunkel. Ich weine. Still! Imposant, hart, militärisch, stößt sie mich zurück, lässt mich los, bedauert es, ruft mich, will mich vor sich haben. Ich hab großen Dusel, dass ich weiß, was ich schreibe, was ich sage und was ich muss. Ansonsten... naja. Ich komme etwas voran. Blicke zurück. Ich habe meine Wäsche gewaschen, meine Zimmer gelüftet, meine Glühbirnen angezündet, es ist mir gelungen, mich an den zeitlichen Rahmen zu halten. Ich bin genau das Sein, das sich für das Nichts hält. Es ist eine Stadtnacht. Nieselt es? Nein. Heuschrecken fliegen und beißende Raupen. Die Sterne haben keine Chance. Der Rauch von den »Detergenti«, (wo sie Waschmittel herstellen), hat den Himmel bedeckt. Die Neonlampe an der Straßenecke ist gestohlen und an die Ecke einer anderen Straße gestellt worden. Von überall: Dunkel. Nur der Fernseher beleuchtet mein Zimmer: Sirrr! Sirrr!

Ich bin 35 Jahre alt geworden: sirrr! Sirrr! Der Höhepunkt der Einsamkeit besteht darin, über die Liebe zu schreiben. Verträglich, wie ich bin, halb geschmeichelt, öffne ich. Der da eintritt ist der gleiche wie der, der weggegangen ist nachdem er eintreten wird, indem er dem Aufruf Folge leistet: herein bitte! Tagchen! Er ist eingetreten. Genau so wie vor vier-fünf Jahren. Vielleicht 5 kg mehr (er hat es sich erfüllt), so dass ich seine Jugend nicht wieder erkenne. Tagchen! Bravo! Guten Abend (in der Glotze richtet sich Victor Rebengiuc den Schnurrbart). Nicht einmal. Was machst? (der Gast) Ich habe bisher keine unerwünschte Replik, keine unerwünschte Rolle gehabt. Ich bin ein gewöhnlicher Mensch (selten leide ich nicht), in einer ständigen Qual. Ich habe keine Kinder. (der Gast) Ich bin eine Kämpfernatur. Ich habe Fehler. Er ist malvenfarbig gekleidet, die Reporterin hebt sich farblich von ihm ab. Sein Lachen ist peinlich. Willst du Saft? (ich kümmere mich um den Gast). Ich habe Fehler, aber es ist nicht schlimm. Wie es um mich steht? (sie haben eine Menge Platz im Studio, die Lichter fallen auf sein Revers und seine Knopflöcher). Ich wollte keine Manieren annehmen, sagt er und betrachtet seine Fingernägel. Die Rede ist vom Versuch, das Publikum zu überraschen. (...)

Ich spürte seinen Eckzahn in meiner Oberlippe. Die Wirklichkeit ist ein Raubtier. Er wird lachen, er lachte, lacht und hält mich fest an sich geklammert. Riskiere ich genug? Die Unwirklichkeit unterwirft sich unter Anstrengungen. Ich kehre um.

Unveröffentlichte Übersetzung von HELLMUT SEILER

© Rodica Draghincescu

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