Lesetext



Rodica Draghincescu
Die Distanz zwischen einem bekleideten Mann
und einer Frau wie sie ist



Ich werde eine Entscheidung treffen müssen: Soll ich jemand anrufen? An einer Tür klingeln? Einen Zug nehmen? Ein Taxi bestellen? Damit etwas mit mir geschieht, muss ich schlafen.

Warte ich? Ich weiß nicht. Ich verstehe nicht. Eine so disponierte Frau kann, zweifelsohne, unter den ungewöhnlichen Umständen ihres Lebens sexuell normal bleiben?! Scham. Moral. Verbote. Ich bin zu Perversitäten prädisponiert. Im Interesse erzählerischer Verwicklung. Irgendwann habe ich 'Über die Ätiologie der Hysterie' gelesen. Ich ignorierte meine Eindrücke.

Ich warte. Auf die nächste Disponiertheit. Die Erregung wird genauso wie vorhin entstehen. Wenn das Telefon klingelte? Wenn die Briefe einträfen? Wenn das Telefon klingelte? Der bestimmende Faktor, der sich in Form von instinktmäßiger Schwäche erweist. Ich ziehe mich aus. Probiere drei Röcke an, drei Hemden. Die leicht skeletthaften Schultern sind nicht meine. Nur sie hat solche Schultern. Sie ist eine böse Gestalt. Deswegen ist sie keine sanfte Gestalt, mit weißen, kurzen Fingernägeln. Sie entblößt ihre linke Schulter. Zeigt sie mir. Ganz. Ich strecke die Hand aus. Sie ist warm, es ist meine Schulter. Meine Schulter ist rund. Sie trägt eine kleine Warze, ein 'grain de beauté', wie die Pariser sagen würden. Der Roman kann von einer Warze ausgehen. Er kann sich einen Platz aussuchen, eine sichere Position, für den Start. Liebe? Ich schreibe über die Liebe wie die Klatschbase 'mère Gigogne'. Liebe habe ich erfahren ... um zu erfahren, was das ist ... Nun eben, was ist das? Soll ich es sagen, sie für andere bereiten, für die Leser, die dann lachen werden: diese erfährt die Liebe mit geschlossenem Mund. Sag nichts. Wende das Blatt. Wende. Komm, heda! Wende! Nichts? Dies ist ein Roman wenn ich du sein werde! Reiß ihm die Seiten aus, denn sowieso haben wir kein Papier zum. Poetisieren wir doch einmal das hämorrhoidale Keuchen.

Sie entblößt ihre rechte Schulter. Zeigt sie mir. Ich strecke meine Hand aus. Dieselbe. Sie ist kalt. Es ist seine Schulter. Mit ausgeprägtem Schlüsselbein. Seine behaarte Schulter. Seine Schulter ist nicht behaart! Doch! Ist sie nicht! Übrigens, die Hand ist auf halber Distanz stehen geblieben. Dieselbe. Das gibt´s doch nicht. Ich habe meine Schultern entblößt, die Augenlider geschlossen. Wir haben beide geweint. Er: dass ich weggehe. Ich: dass er geht. Wir haben uns entfernt. Und die Schultern? Sind nähergekommen. Geblieben ist das Parfüm. Das gibt´s doch nicht. Er stand bekleidet da und rauchte Assos. Geblieben ist der Rauch. Wir haben uns verschluckt. Er gab mir ein blaues, dünnes Buch. Erzählungen. Sagte er. Du verlässt mich. Er warf die Zigarette fort. Übrigens, es ist warm. Sagte ich. Ich ähnele Mutter zu sehr. Ihr beide. Nun, eben. Entblöße dich nicht. Kommen jene jungen Leser, beginnen sich zu entkleiden und treten eins zwei 'de plein pied' ein in die Mysologie. Deswegen ist es gut, gesprächsbereit sein. Allerdings nicht mit jedem. In der Glotze spricht, grauenhaft schlecht, Veta Ghitescu; auf dem 1er, bei den Italienern, gibt es blutigen Film mit Jean-Claude van Damme. Nunja. Wer von geistigen Pflichten entbunden ist, wird ostentativ...

Es ist Zweck und Sinn der Welt, Frauen zu erschaffen. Archetypen des Hauses. Dieser Begriff ist für die psychoanalytische Philosophie von Bedeutung. Wie in der Theorie von Hobbes, dem Idealisten. Ich rede. Um nicht zu schweigen.

Gestern habe ich aus Mallarmé gelesen. Komplizierte Prosodien. Um seine poetische Wahrhaftigkeit zu finden, um sie zu stabilisieren, tut er dem Augenblick Gewalt an. Eine rückläufige Zeit. Merkwürdige Empfindungen. Ohne Bedauern, ohne Nostalgie. Reine Zeitlichkeit?! Baudelaire erblickte die Uhrzeit in den Pupillen der Katzen, wie die Asiaten.

Ausrichtung nach der Waagerechten?! Ihre Auswirkungen untergraben die innere Ordnung des poetisch verbrämten Wahnsinns. Die Vorbereitung fürs Seminar wird immer langweiliger.

Ich bringe die Uhr näher. Lausche. Betrachte. Lausche. Betrachte. Das Strichlein bewegt sich, ist rot und grüßt schüchtern, wie die Soldaten mit schmutzigen Stiefeln. Sie sind am Rande. Einige Wände in Khaki. Ich setze mich und glaube nicht. Hat es irgendeinen Sinn?!

Die Kassette ist zu Ende. Ich schreibe. Sie rauscht. Der Schatten der Hand riecht nach ungarischer Creme gegen-Aufplatzen-der-Epidermis.

FRAU, DU BIST ZU NICHTS NUTZE!!!

Ich sitze. Eine Kältewelle schüttelt die Fransen des Teppichs. Ich kauere mich. Ziehe die Füße unter mich. Was ich betrachte, glaube ich nicht. Ich lausche. Das Strichlein bewegt sich. Es wird immer röter und. Die Kassette rauscht: sie dreht sich auf die andere Seite. Ich warte. Der Schatten der Hand glänzt. Die Fädchen goldenen Haars laden sich elektrisch auf. Im Licht der Leselampe... ich bringe meine Uhr näher. Es ist erregend zu fühlen wie die Sekunden vergehen, wie sie ihre Organe in eben deinen Organen bewegt. Eisenrädchen von der Zehenspitze des linken Fußes auf den Nabel zu. Ausbrüche. Von der rechten Fußspitze bauchwärts. Alles was ich fühle, wird bereits nachgefühlt worden sein. Ich ziehe eine Socke an. Einen Stiefel. Den anderen Fuß lasse ich bloß, ohne Socke, ohne Stiefel. Ich vergleiche sie: ich schreibe über die Distanz zwischen einem gestiefelten Fuß und einem anderen, so wie er ist. Der Stiefel ist eine Verbindung von schwarzem, gutem Leder, ordentlich dicker Sohle und Velourstücken. Genauso schwarz wie.

Der nichtgestiefelte Fuß trägt eine Warze für den Saum. Rock darüber. Der Knöchel ist schlank. Die Wade... Vom Knie weiter werden die Formen komplizierter. Ich bringe mir das Knie näher. Soweit. Ich fühle es. Alles was ich fühle, springt über das rote Strichlein. Deswegen kommt die nächste Minute nicht rechtzeitig zum glücklichen Ereignis.

FRAU, WARUM WIRFST DU DEINE SACHEN AUF DEN BODEN?

Es regnet. Einige Stunden. Müde entflechte ich meine Haare. Drei Fäden fallen auf den Teppich. Was du darüber wissen solltest ist nur was die Müdigkeit eines Tages sein muss nach einer albtraumhaften Nacht. Quälende Schmerzen. Vergeblichkeit.

Heute. Nein. Gestern. Nein. Hätte ich gesagt. Ich will den Graben nicht überqueren. Es ist dunkel und ich falle in den Morast. Ich spüre das Brett nicht. Ich halte dich an der Hand. Spring. Ich will nicht über den Graben. Wenn ich in den Morast rutsche, lass ich dich meine Stiefel mit dem Taschentuch abwischen. Der Weg zur Straßenbahnhaltestelle ist irgendwo jenseits des Grabens. Unseres Grabens. Denn es ist ein Wohnviertelgraben, keiner auf dem Feld. Das Paar und der Graben. Halt meine Hand. Gib acht. Weit zurückliegend. Die Cârlova-Straße.

Die Mädchen halten mir das Sprungseil. Spring! Dass wir gewinnen! Spring! Ruft er, rufen sie. Ich kann die Knie nicht heben. Ich kann meine Bewegung nicht kontrollieren. Ich springe ziellos. Ich verliere. Warum das Seil, wenn der Graben folgte? Ich weiß nicht, was ich sehe. Wische meine Stiefel mit dem Taschentuch ab. Er hat kein Taschentuch. Hat keine Straßenbahnkarte, nur einen Ausweis vom Gemeinplatz, als Träger-mit-Bild. Der Weg ist, eigentlich, ein Sessel in dem er schläft, seit etwa 7 Minuten und 7 Tagen. Was du in diesem Truggebilde nicht wissen kannst, ist wie. Wie geht der Roman? Wie tritt er in den Raum? Wie zerquetschst du ihn, weil du glaubst, er sei ein roter Käfer. Du könntest seine Antennen kitzeln, könntest ihm eine Freude bereiten, indem du ihn auf den Tisch in der Küche legtest.

Wir bleiben nicht in der Küche. Das Fenster ist defekt. Du erkältest dich. Wir haben keine Stühle, noch einen Tisch. Geh fernsehen. Drück die Knöpfe. Ich bringe dir das Essen auf dem Tablett. Ich habe Bananen gekauft, Schokolade, Kekse. Wir beeilen uns. Wir gehen hinüber. Möchtest du Pepsi?

Ich bleibe hier. Die andere Küche ist meine Küche. Das Bett, in dem ich über die Küche schreibe, quietscht. Herrgott, ich kann nicht mehr! Schau nur, wieder. Kommt der Roman? Ja. Halt meine Hand. Lass uns lächeln. Er kommt!

Wenn der Roman kommt, sucht er sich seine Leute. Er bringt sie in den Keller des Wohnblocks, zum Verhör. Wer weiß, was für Teufelszeug sie im Sinn haben. Sie sitzen im Sumpf. Weinen nicht. Sind bei Bewusstsein. Würden sie weinen, stiege der Wasserspiegel.

Heda! Er richtet die Verhörlampe auf ihre Augen, der Greis mit den asymmetrischen Schnurrbartspitzen. Vielleicht ist einer von euch bekloppt und macht, hol ihn der Teufel, die Handlung, den ganzen Stolz ihres Schöpfers, kaputt! Sagt. Wo wart ihr bis jetzt? Womit habt ihr euch beschäftigt? Wie viel wiegt ihr? Welche Schuhgröße? Esst ihr oft? Und die Liebe? Wie kommt ihr voran?

Ein Kleiner, Verspäteter, hopst in der Pfütze herum. Oho, oho. Eine andere, brünette, die Haare kurzgeschnitten, liest Buchtitel. Die nächste Generation. Schwarzes Kleid, an die Schenkel geschmiegt. Ich bin noch nicht ausgebildet. Ich bin Studentin. Ich durchblättere die Zeitungen, sehe fern, bereite mich vor, Redakteurin in der Kulturabteilung zu werden. 6 Monate Probe + Gewöhnung an. Hatschi, hatschiiihhh!!! Sie niest wie in einem Chemikaliengeschäft.

Der Schuldige hält die Hand an der Schläfe. Er atmet schwer, der tuberkulösen Musikanten wegen. Das Fräulein mit den dicken Waden ist auf dem Bildschirm eingenickt.

Heda, ihr, links kehrt... Nach Haus mit euch! Ihr habt nicht das richtige Gesicht für einen Roman! Ihr seid bleichsüchtig, kränkliche Pflanzen, die im Dunkeln wuchsen.

Ein Großer, Hübscher wirft empört seine Zigarette fort. Er will uns nicht! Er will uns nicht? Er verträgt die heterogenen Vorschläge nicht, noch die Heterophonien! Ich kenne sie, Herr Fragender. Heda! Klebt ihm die Lampe aufs Auge. Wer bist du?! Ausziehen! Redest gemischtes Zeug mit mir? Gebrochenes Schlüsselbein. Aknebefallene Schultern. Große Augen. Gespitzte Lippen. Beine eines Athleten. Guuuut für die ersten Seiten. Geh hinüber, lass dir Schreibpapier geben, Kugelschreiber, Mikrofon, Filmkamera, Zigaretten, Wodka. Du wirst die Nr.1. Kannst ruhig lügen... Anziehen. Nachdem du nicht mehr liebst, wirst du geliebt werden!

Ich hatte ihn nicht bemerkt. Wegen der Dunkelheit. Die Lampe ist runtergefallen. Und zerbrochen. Vielleicht weil es ein billiger Trick war, eine Vorwegnahme der Gespräche.

Der elegante Mann wirft mir rosa Zettelchen zu. Ich öffne sie. Dann schreite ich zu jedermanns Verfügbarkeit. Die Nachbarn lauschen durch die Rohre, wie die erzählerische Sicherheit arbeitet.

An der Schwelle, es kommen mir lange Einfälle. Ich bleibe nicht stehen. Steige hoch. Ich schließe die Wohnung auf. Zähle die Zimmer. Uaaahhh!!!!! Gut, dass ich mich nicht verirrt habe. Mutter! Du bist schrecklich müde! wundert sich Kassandra. Na und?! Habe ich die Gestalten verstümmelt? S.gt. Ich habe noch eine. Es hätte weit schlimmer kommen können. Eine einzige Gestalt allerdings... Leicht zu besitzen! Herr-Schriftsteller-Dichter-Dramatiker-Romancier!!!!!! Er hört nicht. Steigt die Stufen keuchend hoch. Herr Nr. 1!!!! Sie müssen mich zu sich nach Hause einladen, sonst hat der Roman nicht ausreichend Platz, keinen Ton, hat er nicht! Was für ein Unfug! Nichts hat er. Zu mir? Geht nicht. Es kann da nichts Gutes geschehen. Her kehre ich für den tränentreibenden Teil zurück, für Korrespondenz, Anrufe, Selbsterotik usw., usw. Der Herr wünschen?! Gehen Sie getrost nach Hause. Sie werden eine Zeitlang ohne Gedächtnis sein. Bis Sie, unvermittelt und auf drollige Weise, in der Tradition unserer, folkloristisch erhabenen, Liebe funktionieren werden. Ich werde den Briefträger bitten, mir zur gegebenen Zeit Ihre Briefe zu bringen. Im Gegenzug füge ich das Versprechen bei, Ihnen im gegebenen Augenblick zu antworten.

Das Feuer ist ausgegangen. Ich habe mir zwei Paar Socken übergezogen. Ich gehe in die Küche Paprikagulasch essen.

Nieselregen. Hagel. Wind. Die atmosphärischen Ströme brausen. Die Eiszeichen des Monats April. Gerade als wir Wärme brauchten...

Ich kann keine Romane schreiben. Auch einen nicht. Ich kann nicht. Ich winde mich um den Teller wie eine Schlange, die ihre Mittagsbeute verdaut. Meine einzige Gestalt ist ein chamäleonartig-sentimental-Toter, ein festlich-Klaustrophober, ein buchmäßiger, von großen kurzen Liebschaften Besessener. Ein mit Ammentugenden Ausstaffierter, der einschläfernde Empfehlungen anstimmt.

Ich habe keinen Text. Genau: ich erkenne ihn nicht wieder!! Was ihr lest, ist um euch herum. Was euch durch den Kopf geht, ist mir nicht gegangen. Die Beschäftigung von heute ist nichts als ein billiger Trick, eine Frühjahrsperversion. Jeder kann sie sich leisten, wenn er´s versteht, hört er, was ich jetzt flüstere: (...)

Ich setze zum Kaffee auf. Obwohl es Abend ist. Ich knipse die Leselampe an, lege sie ins Bett, ziehe mich aus, reibe mich mit ätherischen Ölen ein. Ausgezeichnet, nach diesem Komma, PUNKT und: ich errichte eine größenwahnsinnige Hypnagogie. Was das ist?

Mir kommt vor, dass ich mit allen Beleidigungen an meine Adresse einverstanden bin. Ich pfeife und betrachte den gestirnten Himmel. Der morgige Tag. Sechs Stockwerke bis zur Akademie; ich werde beim Lehrstuhl aussteigen, das Kurstagebuch unterschreiben, Übungskurse für Blasierte halten. Meine einzige Gestalt bin ich selber. Konvention bringt mich um. Ich werde mir Briefe schreiben, werde mich anrufen, mich auf dem Teppich wälzen. Es ist eine blödsinnige Nacht. Nicht einmal...

Wie heißt die Lust, mit sich über sich selbst zu klatschen?! Innerer Monolog? Beichte? Replik? Jede Replik hätte verheerende Nebeneffekte. Von denen ich mich voller Ekel abwenden werde, ohne Ausnahme. Die psychoanalytische Abhandlung zum Thema einer misslungenen Ehe. Ja-ja-ja. Die psychoanalytische Behandlung. Der Austausch von Worten zwischen Patient 1 und Patient 2, im Dabeisein von Freud. Patient 1 spricht, erzählt von seinen bisherigen Erlebnissen, seinen gegenwärtigen Eindrücken, beklagt sich, bekennt seine Wünsche, Befürchtungen, Emotionen. In Patient 2 erwachen die gleichen Erinnerungen, anders geordnet und ausgerichtet. Die persönlichen Erklärungen und Beobachtungen fordern ihn heraus, in einen Dialog einzutreten. Die Neurose-Symptome werden dem anderen zugeschrieben. Ihr Sinn ist die Sinnlosigkeit. Für gewöhnlich erweist sich, dass einer mehr Recht hat und der andere das zwar merkt, sich aber nicht bezwungen zeigt. Er gibt eine verschlüsselte Botschaft von sich, irreführende Pfeile, und erinnert sich an die Botschaft des Darius, von der Herodot geschrieben hat. Ja. Ja. Hier wäre eine Schrift in Bildern notwendig, Piktografie, Zeichnungen auf Papier, Fels, Knochen, Holz, Bettleintüchern nach der Hochzeitsnacht. Die Vorbereitungsphase, die das Gedächtnis unterstützen soll. Mnemonische Zeichen. Was macht es aus, dass sie primitiv sind? Sind sie juristisch relevant? Jawohl. Bei allen Völkern hat es sie gegeben. Im alten Rom wurde mittels Kerbhölzer Buchhaltung geführt, die Bezeichnung von Zahlungen und der Steuern. Andere benutzten Muschelketten in verschiedenen Farben und unterschiedlicher Anordnung. Die Hirten zählten ihre Tiere, indem sie Knoten in Schnüre knüpften.

Die Uhr mit Läutwerk legt alle halbe Stunden los. Der Lebenspartner flucht. Er sammelt seine Erinnerungen, die geheimen Geschichten. Bekundet Begeisterung bei der Erklärung der Schuld, des Sündenfalls, deren Haupt-Wort-Piktogramm das Geschlecht ist, das Organ, unmöglich die Wiedergabe für Schreibmaschine und Telegraf.

Da der Augenblick als solcher unheilvoll war, abstrakt und das Ausmaß der ältesten und unangenehmsten Fotografien aus der Kindheit hatte: die Unterhöschen, der Nachttopf (von Hausfrauen herbeigeholt), ein Baum oder Busch, unter Zeitdruck gefunden. Die erste bewusst erlebte Scham. Der Begriff von Ekel, von animalischem Schluchzen. Halluzinatorische Erlebnisse. Witze über den kindlichen Albtraum. Die Mühen seiner Bewältigung. Das erste Nein versus das niedliche Ja. Über der brüsken Realität die Reflexionen des Erwachsenen, der vom Satan besessen ist. Jetzt ist die Scham völlig und ganz metamorphosiert. Die Stoiker nannten die Kausalität, die uns beherrscht, Fatalität oder Schicksal! Meine Kursnotizen gehören zu den ernsthaftesten. Die Kraft dessen, der als Letzter bleibt, nimmt alles mit, was sich nur mitnehmen lässt und stößt alles fort, was Widerstand leistet. Kausalität hat mitunter die Bedeutung von Penetration.

Lieber benutzte ich die Schreibmaschine im Bett. Surrealistische Vorstellung. Ich bräuchte eine Spiegelwand, um die Rebellion bis zu ihrer letzten Konsequenz zu verfolgen. Unabhängigkeit! Schizophrenie eines Hänschen klein? Wer weiß. Vielleicht erreiche ich durch Dehnung jenen Grad null, von dem Barthes sprach. Es kümmert mich wenig, wenn der Roman zum Teufel geht. Ich tue nichts als zum Schein mit meinen Neigungen zu Hochmut zu kämpfen. Eine Frau, im Balzacschen Alter (wir verlängern hier die Grenze), hätte Geschlechtsverkehr, um 15 Uhr. Ist übrigens nicht dieser Stil, diese Schreibweise, etwa das Geheimnis einer Proustschen Manier, es mit der Einsamkeit zu treiben?! Klitoral-Orgasmus. Als ob Borges es nicht getrieben hätte mit wem er wollte?! Das Alter stand ihm dabei nicht im Weg. Er hatte auf den Regalen seiner Vorstellungskraft viele Schlüssel zu erotischen Kämmerchen. In meinen Pupillen verharrt die knochige Hand, mit langen, gespreizten Fingern, aus einem Buch in ein anderes gestreckt, wie auf der Umschlagszeichnung zum 'Sandbuch'. Soll ich über die Erhabenheit der Laster schreiben, über die falsche Moral fauler Mußestunden. Hybride Nostalgien nützen keinem. Vor allem nicht auf Seiten, die von der Notwendigkeit der Enthüllung besetzt sind. Ohne Metaphern. Denn auf eine ganz bestimmte Art sieht das wirkliche, fähige, vorbestimmte Laster aus, und anders zeigt es der Roman, das Geschwätz, das weit entfernt ist von Entzücken und Schrecken. Jean Jacques Rousseau färbte mit Blau das Feuer. Buddha wählte als Sterbeort das Haus eines Schmiedes. Horia Gârbea sagt, dass B. mit dem 'Evenimentul zilei'¹ auf der Brust gestorben ist. Heraklit aus Ephesus glaubte, dass Alles ein FEUER ist!

Die Scham verhindert Literatur. Die Literatur gefällt sich in Schamhaftigkeit. Was kann eine rhetorische Befangenheit sein?! Der Erwartete wird immer der Retter sein, der Allmächtige, der Alleswisser, Alleskönner.

NICHT DER ERWARTETE WIRD IMMER ALS ERSTER KOMMEN! Lieber duze ich Freud.

Am Morgen. Ein Anruf aus Cluj. Miserabel gehört. Habe meinen Anwandlungen aufzulegen Widerstand geleistet. Ich habe mich erinnert: es ist ein höflicher Herr, geht nicht. Zwischen zwei blumigen Vorhängen sehe ich den Himmel. Sonnig, verdunkelt. Die Turteltauben fliegen und irritieren mein Gesicht! Lust zu streiten. Niemand in der Nähe. Die Möbel knarren wegen des offenen Fensters. Ich blicke auf die Uhr. Bald treffen die Mädchen zur Privatstunde ein. Ich könnte sie mit dem Handrücken über die Stirn hauen, denn dort steckt die Dummheit. Sie kommen und warten darauf zu gehen. Um den Wohnblock, junge Männer, Halbwüchsige. Ihre Männer. Als erteilte ich ihnen Lektionen für danach: (...) Ich trete auf den Flur. Suche im Briefkasten. Wie sagte ich an einem anderen Tag: geben wir uns doch keinen Täuschungen hin. Der Künstler, dessen Seele weiter abgerückt ist vom Leben als die anderer Menschen, verwirklicht auf natürliche Weise eine jungfräuliche Wahrnehmung (s. Bergson, 'Le Rire'). Zum Teufel mit der reinen Wahrnehmung, die kein Komplize der Not mehr ist! Es ist ein Tag, der kopfsteht. Er verdient keine Aufmerksamkeit. Ich habe mir einen Zahn gezogen. Selber. In der Küche. Es hat geschmerzt. Es ist mein Leben, mein Zahn. Ich habe ihn in einer Serviette eingeschlagen. Feindselig, habe ich ihn zertrümmert, in den Schubladen mit den alten Knöpfen versteckt.

Die Wagen der Müllabfuhr zerwühlen die Straße, rütteln am Zimmer. Ich halte meine Hände fest am Bettrand. Es ist mein Fehler, dass ich anfange zu lügen. Die Straße ist öde. Das Zimmer schwirrt vor lauter Freiheit. Verworren. Das Schrecknis der Suche. Die Ruhe der Verirrung.

Alin hat sich die Haare sehr kurz schneiden lassen. Den Bart gestutzt. Sooft er weggeht, bleibt er an der Tür stehen, wie nach einer schweren Prüfung. Tschüß! Es wird ein anderes Mal wohl schönere Geschichten geben. Wenn du eine Gestalt in Blue jeans brauchst, sieh da: ich kann dir helfen. Ich hab geile Fotos, aus der Zeit als ich eine Mähne trug und Schallplatten unterm Arm. Ich war nicht wählerisch. Bin ich auch jetzt nicht. Ich lerne auswendig was ich sagen muss, aber mach dir keine Sorgen, wenn du zu spät kommst. Ich komm immer, nachdem ich mein Gebet halt. ´s ist große Fastenzeit. ´s ist besser nicht zuviel Farbe aufzutragen. Vor allem wenn deine Kumpels gestorben sind.

Ich spüle meinen Mund mit Wasser, Spiritus zugesetzt. Blut fließt. Was es doch mit der Zahnmedizin, am Wohnort ausgeführt, auf sich hat.

Dem Alin hat´s gefallen was ich geschrieben hab. Es scheint dass ich einen Rappel hab. Du hättest so viele schockierende Figuren, nur willst du nicht und fertig. Er spricht mit mir, ich mit Angy. Die jammert am Telefon, dass ihre Kolleginnen sie anfeinden, ja sogar das ganze Jahr über, da sie sich mit Madame R. D. B. 'angefreundet' hätte. Diese Madame (richtig ist: diese Dame) ist wie ein Korkenzieher. Sie entzieht den Augen der Menschen die Nervensäure.

Ich berichtige. Streiche. Ich habe dummes Zeug geschrieben. Sie, dieses französierende Weib, soll ich sein. 'Dame!' (Interj.) Will heißen: Na! Bei rechtem Licht betrachtet, ist es tatsächlich so. Sie ist ich. Ob´s mir passt oder nicht, trink, liebe Tante, deinen Kaffee. Willst du Schlagsahne dazu? Hast keine. Nimm Sauerrahm. Oder Rasierschaum.

Ich trinke den Kaffee mit 'Biborteni'-Mineralwasser! Das Wasser ist salzig, der Kaffe süß. Ich trinke und antworte Bogdan G. auf seinen Brief. Ich denke an ihn und... Eigentlich, schreibe ich die erste Seite aus dem Tagebuch ab. Verändere die Namen der Leute.

Ich weiß nicht, wer mir eingetrichtert hat, diesen Roman soviel anzustarren. Jeder, dem ´s gefällt, tritt: ratz-fatz! ein, zu sehen wie´s bei mir im Roman zugeht. Ich sag ihnen im Schönen im Voraus, dass es dunkel ist, dass ich nur einen Typ hab (den Greis mit den unsymmetrischen Schnurrbartenden), der den Schwarz-weiß-Fernseher betrachtet, der parasitär von der Antenne des Nachbarn gespeist wird, dass es staubig ist und Ungeziefer gibt, das von dem armen Journalisten, der mit dem Fahrrad ans Meer gefahren ist, als Mietbewohner übernommen wurde; dass das Wasser aus der Badewanne tropft, die Klospülung nicht zurückspringt. Umsonst ziehst du ein einziges Mal. Es ist viel intimer zweimal zu ziehen. Und viel ehrlicher.

Um ehrlich zu sein: ich habe den Brief der Gestalt Nr. 1 gelesen. Meine Hinterhältigkeit kann kein gutes Zeichen sein.

Du bist schlecht, Frau, du bist grauenhaft schlecht. Du denkst nur an dich selbst und nützt die Gelegenheit aus, dass die Distanz zwischen uns (die physische) mir nicht erlaubt, dich mit den Tonnen von Liebe und Zärtlichkeit zu überschütten, die ich jahrelang nicht in der Lage war zu vergießen und die ich, weiß Gott weshalb und durch welches Wunder, für dich aufgehoben habe. Will sagen, bildest du dir ein, dass ich, bis zum Bersten voll von dir, nichts Besseres zu tun hab als dich nach nur wenigen Seiten zu verlassen?! Bildest du dir ein, dass ich, bis über beide Ohren von dieser unnatürlichen, unirdischen, quälend romanhaften Liebe gepackt, die mich bis zur letzten Faser auslaugt, mir noch etwas daraus mache zu erwachen?! Ich weiß nicht, was für dich der Roman bedeutet, der Irrsinn, in den du eingetreten bist ohne es zu merken ?! Du hast mich maximal gefordert, mir jeden Muskel, jeden Nerv angespannt, ständig im Zustand des Alarms, des Wachseins, des Schreckens.

Wir werden, einige Atemzüge weit, die Grenze überschreiten (wir werden im Roman sein), die Menschen von Engeln trennt. Wir haben schon, beide, die Herrlichkeit erzählerischer Vergotteter erworben, berührt wie wir sind vom Flügel dieser planmäßigen Liebe.

Wir werden wählen müssen: werden wir uns entscheiden, den Graben zu überqueren oder werden wir uns davon entfernen und wieder an unsere Plätze zurückkehren, leicht gedemütigt, doch glücklich darüber, dass uns gegeben war (wie viele haben diese Chance!), wenigstens vom Roman in Augenschein genommen zu werden.

Ich versuche, die Dinge nüchtern zu betrachten. Was können wir tun? Du hast deinen Sinn gefunden, hast einen wichtigen Dienst, ein Lebenssystem. Neben mir hieße es, Selbstmord zu begehen. Im Grunde müssten wir uns beide umbringen, von Null anfangen. Dein Roman ist ein Fluch. Immerhin ist er, zweifelsohne, das Wichtigste, das uns im Leben widerfahren ist oder gerade widerfährt. Auf ihn müssen wir uns beziehen, wenn wir nichts als Romanfiguren sein werden, in jeder Minute und in allen unseren Begebenheiten. Es wird ein trauriger Roman.

Ich lebe betäubt, die ganze Zeit in Trance, erwache nur wenn ich dir schreibe, deine Gedanken lese, mit dir am Telefon spreche. Mein Leben ist dein Roman, ein enormes Nebelgebilde, das ich durchwate, wobei wir uns an den Händen halten. Wir beide zusammen, Autor und Romanfigur, eng vereint, ein einziger phosphoreszierender Punkt im Nebel, der uns umgibt.

Du kannst so früh wie du nur willst aufstehen, der Tag wird dich wie ein Süßwasserpolyp umfangen und deinen Kopf und die Glieder in die Inkubatoren seines Magens pressen. Obwohl der Kopf hinausflattert und die Verdauung stört, sind die Tentakel nicht mehr an ihm interessiert. Er steigt hinab und hinauf, hinauf und hinab, dahin wo das Wasser voller Grün ist. Oben, in der Ecke der Wand, mein Porträt, von Marcel Breilean ausgeführt. Strahlen weißer Kreide stützen den blauen Hut, den ich im November ’87 trug, 19 Tage nach meinem Geburtstag. Das Gesicht voller markanter Äpfel, wie die auf dem Dachboden, zwischen Heuhaufen gelagerten.

Das Wasser kocht. Ich kann das Sieden mit dem Gehör verfolgen. Ich höre und schreibe. Der Kopf dreht sich mir. Ich fange eine dicke Schnake, die von der Straße hereingeschwebt kommt, auf meinen Arm zu. Wie viel Präzision. Das Zerquetschen entspannt mich für eine Sekunde.

(...)

Du kennst mich nicht. Du hast mich aus Dunkelheit und Wasser zusammengesetzt. Noch wirst du mich je kennen. Eine einzige Person hat mich gekannt und hat einen Schlag erhalten, als sie gewahr wurde, dass ich endgültig gegangen bin. Ich besitze die Allüren eines gesetzten Bürgers. Aber so ist es nicht. Das Problem besteht darin, dass ich mich selbst nicht allzu gut kenne. Ich habe Angst.

Du quälst mich schrecklich. Weißt du, wie sehr ich dich liebe?! Niemals habe ich eine Frau besser gekannt, von niemand habe ich mich blindlings so stark angezogen gefühlt. Kämpf nicht gegen uns mit diesem beschissenen Roman. Und sag mir, bitte, nicht, dass du nicht willst, dass wir uns wiedersehen, der Text würde zusammenbrechen. Wir werden einander sehen, dann wird es OK sein, du wirst sehen. Hast du ein bisschen Vertrauen zu mir? Zu uns? Suche keine andere Romanfigur. Es ist 2 Uhr nachts. Schläfst du? Solltest du schlafen, träume von mir.

(1) DAS EREIGNIS DES TAGES, rumänische Tageszeitung

Unveröffentlichte Übersetzung von HELLMUT SEILER

© Rodica Draghincescu

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